Widerstand gegen rechten Putsch in Bolivien

Aus: Junge Welt, vom 15.11.2019 (Von Björn Brunner und Araceli Gomez, La Paz)

 

El Alto steht auf

Boliviens indigene Bevölkerung wehrt sich gegen den Putsch der Rechten und Rassisten. Eindrücke aus den letzten Tagen

 

Nachdem Boliviens Präsident Evo Morales sowie ein Großteil der Minister am vergangenen Sonntag zum Rücktritt gezwungen worden waren, sind Zehntausende Bewohner der benachbarten Stadt El Alto in das Zentrum von La Paz gezogen. Sie protestierten gegen den anhaltenden Rassismus und prangerten die Gewalt der Polizei gegen die Bevölkerung von El Alto an.

La Paz, die am Fuße der Anden gelegene Metropole, ist das politische Herz Boliviens. Dessen Bevölkerung und die Einwohner des angrenzenden und oft als Schwesterstadt bezeichneten El Alto sind zwar ökonomisch stark miteinander verbunden, kulturell jedoch sehr verschieden. El Alto, die jüngste und am schnellsten wachsende Stadt Boliviens, ist geprägt von einer mehrheitlich indigenen Bevölkerung, die in den letzten Jahrzehnten hauptsächlich aus den ländlichen Gebieten des Altiplano, der Hochebenene im Westen des Landes, zugezogen sind. Bis zu 70 Prozent der in El Alto lebenden Bevölkerung sind Aymara, eines der größten indigenen Völker unter den insgesamt 32 anerkannten Volks- und Sprachgruppen Boliviens.

In einigen der 14 Distrikte, in die sich die Stadt teilt, ist die Wasser-, Abwasser-, Gas- und Stromversorgung noch immer unzureichend. Die Einwohner organisieren sich in Nachbarschaftskomitees, um ihre Lebensumstände zu verbessern.

Unter den neoliberalen Staatschefs Gonzalo Sánchez de Lozada (»Goni«) und Carlos Mesa kam es 2003 vor allem in El Alto zu Aufständen der Bevölkerung gegen die Privatisierung der Gasressourcen. Die Regierung antwortete mit aller Härte und ließ die Proteste durch das Militär blutig niederschlagen. Mehr als 60 Personen wurden ermordet. Die Ereignisse gingen als »Gaskrieg« in die Geschichte Boliviens ein und haben sich tief in das historische Bewusstsein der Bevölkerung eingebrannt. Auch deshalb identifiziert sich ein Großteil der Bevölkerung von El Alto mit dem seit 2006 regierenden ersten indigenen Präsidenten Evo Morales, der ebenfalls Aymara ist.

Die jüngsten Ereignisse wecken in der Bevölkerung Erinnerungen an den »schwarzen Oktober« 2003. Nach den Wahlen vom 20. Oktober hatte Boliviens Opposition angebliche Manipulationen angeprangert. Daraufhin lud Morales die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) zu einer Überprüfung des Wahlprozesses ein. Deren inmitten der gewalttätigen Proteste rechter Regierungsgegner veröffentlichter Bericht bestätigte die Vorwürfe teilweise. Bereits zuvor waren Einheiten der Nationalpolizei zunächst in Cochabamba und Santa Cruz, dann aber auch in La Paz zur Opposition übergelaufen. Nachdem so die Regierungsgebäude und andere öffentliche Einrichtung nicht mehr gesichert waren, kündigte Morales am frühen Sonntag morgen Neuwahlen an und erfüllte damit eine zentrale Forderung seiner Gegner. Trotzdem forderten kurz darauf hohe Generäle der Streitkräfte den Präsidenten zum Rücktritt auf. Noch am selben Tag erklärten zahlreiche Minister unter dem Druck der Opposition ihre Demission. Sie begründeten das teilweise mit Erpressung, so seien ihre Familienangehörigen bedroht und angegriffen worden. Am Nachmittag beugten sich Morales und sein Vizepräsident Álvaro Garcia Linera dann dem Druck und erklärten ihren Rücktritt.

Bewohner gegen Polizei

Bei einem Teil der Bevölkerung sorgte diese Entscheidung für Jubel. Der verschwand aber schnell, denn schon am Abend machten Berichte über Ausschreitungen und Vandalismus im gesamten Gebiet von La Paz und El Alto die Runde. Das Militär, das zuvor ein Eingreifen zum Schutz der gewählten Regierung verweigert hatte, patrouilliert seither gemeinsam mit der Polizei in den Straßen. Einwohner formierten Bürgerwehren, um mit Knüppeln bewaffnet ihre Viertel zu verteidigen. Besonders in El Alto kam es zu schweren Auseinandersetzungen. Aus Wut über den rechten Putsch, für den die Bewohner von El Alto die Polizei sowie den am 20. Oktober unterlegenen Kandidaten und Expräsidenten Carlos Mesa sowie Luis Fernando Camacho, den erzreaktionären und religiös-fundamentalistischen Oppositionsführer aus Santa Cruz, verantwortlich machten, wurde die Zufahrtsstraße nach La Paz blockiert, Demonstranten steckten sämtliche Polizeistationen der Stadt in Brand.

Am Dienstag versammelten sich gegen Mittag Zehntausende Alteños zu einem spontanen »Cabildo«, einer Volksversammlung, auf der zentralen Plaza San Francisco in La Paz unweit der Regierungsgebäude. Mitglieder der verschiedenen Nachbarschaftskomitees ergriffen das Wort. »Wir sind heute nach La Paz gekommen, um friedlich für den Respekt gegenüber unserer Kultur zu demonstrieren. Wir verurteilen das Verbrennen der Wiphala!« Die Fahne, die als Symbol der indigenen Bevölkerung gilt und neben der rot-gelb-grünen Trikolore zweite Staatsfahne Boliviens ist, war zuvor von Polizisten öffentlich verbrannt worden. »Wir verurteilen den Rassismus der Rechten und wollen, dass ihre Rädelsführer Luis Camacho und Carlos Mesa die Stadt umgehend verlassen. Sie sind der Grund für die anhaltende Konfrontation zwischen Bolivianern.« Weiter verurteilten die Redner die anhaltende Gewalt gegen die Bevölkerung von El Alto: »Wir sind keine Kriminellen, wir sind normale Bürger und Arbeiter, wir sind auch Bolivianer.« Trotzdem schweige die bolivianische Presse darüber, dass Polizei und Militär seit Tagen Tränengas auf friedliche Versammlungen abfeuern und sogar Menschen umbringen. »Es sind schon drei Menschen gestorben. Wir wollen keinen ›schwarzen November‹ wie 2003.«

Nach etwa zwei Stunden setzte sich der Demonstrationszug in Bewegung, um die verbarrikadierten und von Polizei- und Militärkräften geschützten Regierungsgebäude zu umkreisen. Plötzlich flogen zwei Kampfjets der bolivianischen Luftwaffe in niedriger Höhe und mit waghalsigen Manövern direkt über die Köpfe der Versammelten. Diese reagierten mit Sprechchören: »Wir haben keine Angst, verdammt noch mal!«

Gleichgeschaltete Presse

Raul Velaskes aus El Alto erzählt uns: »Die nationale Presse berichtet nur für die Reichen, für die armen und einfachen Menschen gibt es keine Berichterstattung, nur die internationale Presse berichtet über uns. Nun nutzt das Militär auch noch Flugzeuge, um uns einzuschüchtern, als ob wir die Feinde der bolivianischen Bevölkerung sind. Es ist mir egal, welche Regierung an die Macht kommt, Hauptsache sie macht ihre Arbeit gut. Wir sind keine Politiker, wir sind Arbeiter und Verkäufer, die von unserer täglichen Arbeit leben. Wenn wir tagsüber nicht genügend verkaufen, gibt es abends kein Brot auf dem Tisch. Wir brauchen jetzt eine neue demokratisch gewählte Regierung, mit vielen jungen Menschen aus ganz Bolivien. Wir wollen keine Regierung aus den alten Eliten der Oligarchie, die uns unterdrücken und ausbeuten. Ich hoffe, dass es in Bolivien voran geht.« Maria Mamani, die ebenfalls in El Alto lebt, stimmt zu: »Wir sind Bauern. Mesa und Camacho diskriminieren uns, sie haben unser Wiphala verbrannt, sie hassen unsere Polleras«, die hauptsächlich von indigenen Frauen aus dem Altiplano getragenen Röcke. »Wir werden nicht aufgeben, bis Jeanine Áñez zurücktritt«, richtet sie ihre Kritik gegen die zweite Vizepräsidentin des Senats, die sich am Dienstag (Ortszeit) selbst zur »Übergangspräsidentin« Boliviens ausgerufen hatte. »Sie ist gegen uns Bauern, deswegen werden wir sie nicht akzeptieren.«

Delia Flores aus Caranavi, einer gut 150 Kilometer von La Paz entfernten Kleinstadt, beklagt eine Welle des Hasses gegen die indigene Bevölkerung. »Evo war einer von uns, aus der arbeitenden Klasse, der Armen und einfachen Menschen. Aber jetzt haben die Rassisten die Macht übernommen. Bis sie mich töten, werde ich weiterkämpfen und Evo unterstützen.«

 

Siehe auch: Presseerklärung der DKP

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