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Gedenken an die Pogromnacht

Wann:
Mo, 9. November 2020, 18:00 h
Kategorie:
Haupt

Beschreibung

Die im Anschluss an die Kundgebung geplante Abendveranstaltung fällt aufgrund der Corona-Situation leider aus!

 

Gedenkveranstaltung Pogromnacht Cannstatter Synagoge 2020

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 brannten die Synagogen im gesamten
Deutschen Reich sowie in Österreich und in der Tschechoslowakei.
Angezündet von SA und SS, organisiert, vorbereitet und angeleitet von Partei, Regierung und
Behörden des faschistischen Staates. Am nächsten Tag wurden mehr als 7.000 jüdische
Geschäfte geplündert, zehntausende jüdische Menschen verhaftet und über 100 ermordet. Die
Polizei verschleppte 26.000 jüdische Männer aus ganz Deutschland vor allem in die
Konzentrationslager Dachau, Sachsenhausen und Buchenwald. Die SS pferchte im KZ
Buchenwald 9.845 Verhaftete in einem Sonderlager zusammen. In den hundert Tagen der
Existenz dieses jüdischen Sonderlagers auf dem Ettersberg wurden 250 Menschen umgebracht,
Dutzende innerhalb der ersten 24 Stunden von der SS ermordet.

Die Pogromnacht in Stuttgart
In Stuttgart legte der Branddirektor, in Zivil und ausgestattet mit einem Eimer Waschbenzin,
selbst den Brand; in Cannstatt war es der Leiter der Feuerwache. Fast alle männlichen
Stuttgarter Juden zwischen 18 und 65 Jahren wurden verhaftet, auch Kranke und Jugendliche
unter 18 Jahren.
Die Jüdin Ida Carlebach aus der Dürrheimer Straße 5 wurde Augenzeugin des Brandes der
Cannstatter Synagoge. Ihre damals elfjährige Nachbarin Margarete Carle berichtete, dass ihr
Vater mit dem Ruf "Kinder es brennt" ins Kinderzimmer kam, von wo der Brand in der König-Karl-
Straße gut zu beobachten war. Weil es die Synagoge war, holte der Vater Frau Carlebach aus
dem ersten Stock hinzu. „Wie versteinert stand sie da“, erinnert sich Frau Carle tief bewegt. Die
Funken seien fast bis ans Haus geflogen. Mit dem Synagogenbrand erlosch der letzte
Lebensmut von Ida Carlebach, die sich am 27.11.1938 aus Verzweiflung das Leben nahm. (Text
der Cannstatter Stolpersteininitiative, Autor: Rainer Redies)

Nicht alle waren einverstanden
Trotz des unglaublichen Terrors haben die Pogrome nicht alle gutgeheißen. So wurden in
Stuttgart Passant*innen in „Schutzhaft“ genommen, die die Ereignisse auf der Straße mit
Abscheu kommentierten.
Der Pfarrer Julius von Jan hielt kurz nach der Pogromnacht in Oberlenningen eine mutige
Predigt, in der er die Verbrechen an den Juden und Jüdinnen und ihren Einrichtungen scharf
ablehnte. Er wusste, was ihm drohte, wurde anschließend von den Nazis misshandelt und von
einem Sondergericht zu 16 Monaten Haft verurteilt.
Aus dem Untergrund verbreitete die KPD ihre Erklärung „Gegen die Schmach der Judenpogrome
... “ als Aufruf zu menschlicher Hilfe.

Der Jahrestag der Pogromnacht ist für uns Anlass zu gedenken
Die Pogromnacht war der Zivilisationsbruch, der in dem Versuch mündete, alle Jüdinnen und
Juden Europas zu vernichten; bis 1945 wurden 6 Millionen Jüdinnen und Juden administrativ und
industriell ermordet. Die Faschisten kamen mit der Pogromnacht der Formierung einer
reaktionären Volksgemeinschaft einen Schritt näher, Entmenschlichung und Entsolidarisierung
wurden vorangetrieben. Keine zehn Monate später begann mit dem Überfall auf Polen der Zweite
Weltkrieg, der über 60 Millionen Tote forderte.
Schon vor 1933 hatte die NSDAP eine breite Massenbasis, an die Macht wurde sie aber erst am
30. Januar 1933 durch Reichspräsident von Hindenburg gehievt, auf Drängen der reaktionärsten
politischen Kreise, der Reichswehr und namhafter Repräsentanten des Finanzkapitals und der
Großkonzerne. Die waren dann auch die Hauptprofiteure von Aufrüstung und anschließendem
Eroberungskrieg.

Widerstand war möglich
Nachdem den jüdischen Untergrundorganisationen die systematische Ermordung durch die
Nazis bewusst wurde, entschlossen sich viele Juden und Jüdinnen zum aktiven Widerstand. Der
Aufstand im Warschauer Ghetto am 19. April 1943 wurde für weitere Aktionen zum Vorbild. Der
jüdische Widerstand fand auf drei Ebenen statt: Bewaffnete Aufstände in Ghettos und Lagern;
Flucht und Schmuggel von Jüdinnen und Juden aus den Städten und Ghettos in die Wälder zumdortigen Partisanenkampf; das Verstecken Einzelner, kollektive Rettungsaktionen sowie die
Rettung von Kindern.

Die Selbstbefreiung von Buchenwald
Im Konzentrationslager Buchenwald haben politische Häftlinge ein illegales internationales
Lagerkomitee gegründet, dem es u.a. zu verdanken war, dass die Rüstungsproduktion dort in
den letzten Kriegsjahren durch Sabotage erheblich geschwächt wurde. Vor 75 Jahren, am 11.
April 1945, konnten die teilweise bewaffneten Häftlinge das Lager selbst befreien, durch
Verzögerungstaktik wurde verhindert, dass die letzten 21.000 Häftlinge auf die Todesmärsche
mussten. Zu den Überlebenden gehörten auch 900, davon viele jüdische, Kinder, die vor der
Gaskammer gerettet wurden. Am bekanntesten ist das Buchenwaldkind Juschu, dessen
Schicksal im Roman "Nackt unter Wölfen" von Bruno Apitz als Vorlage diente. Zur Rettung
maßgeblich beigetragen hat der spätere baden-württembergische IG-Metall-Vorsitzende Willi
Bleicher.

Faschistische Kontinuitäten wirken weiter
In der Bundesrepublik gab es keine umfassende Entnazifizierung: vom Aufbau des
Geheimdienstes BND durch Nazis bis zum Schreddern der NSU-Akten zeigt sich bis heute die
Kontinuität in der Zusammenarbeit von staatlichen Strukturen mit Faschisten.
Im Oktober 2019 verübte der Rechtsterrorist Stephan Balliet einen Anschlag auf die Synagoge in
Halle mit dem selbsterklärten Ziel, möglichst viele Juden und Jüdinnen zu töten. Im Februar 2020
erschoss der Rassist Tobias Rathjen in Hanau 9 Menschen.
Dies alles geschieht nicht im luftleeren Raum, Rassismus und Antisemitismus sind bis tief in die
Mitte der Gesellschaft verwurzelt. Bei den maßgeblich von den Stuttgarter "Querdenkern"
organisierten Protesten gegen die Corona-Politik marschieren Tausende gemeinsam mit
Reichsbürgern, Rassisten, Antisemiten und Faschisten.
Antisemitismus findet sich auch in Verschwörungserzählungen wieder, die mehr und mehr
Anklang finden. Verschwörungserzählungen basieren oft auf Antisemitismus, der immer offener
zu Tage tritt, sichtbar z.B. an Schmierereien in Stuttgart „Merkel ist Jüdin“.

Militarisierung nach innen .....
Trotz der Skandale erhalten Polizei und Geheimdienste immer mehr Befugnisse, um in der
zunehmenden Krise des Kapitalismus kritische und antifaschistische Proteste und Bewegungen
durch Bespitzelung und kriegswaffenähnliche Bewaffnung einzudämmen.
Der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) wurde vom Finanzamt Berlin
aufgrund der Bezeichnung als „linksextremistisch beeinflusste“ Organisation im bayrischen
Verfassungsschutzbericht die Gemeinnützigkeit entzogen, womit die Existenz einer Organisation
der KZ-Überlebenden massiv bedroht ist.

..... und außen
Zur Durchsetzung deutscher Wirtschaftsinteressen wird auch die Aggression nach außen
verstärkt. Auf der einen Seite verschärft sich der Ton gegenüber allen Staaten, die sich der NATO
und der EU nicht fügen. Auf der anderen Seite wird die Bundeswehr für weltweite Einsätze
aufgerüstet. Rüstungsausgaben steigen, um das militärische Drohpotenzial zu erhöhen.

Kommt zur Gedenkkundgebung am 9. November!
Der Gedenktag an die Pogromnacht 1938 ist für uns Anlass und Auftrag zu verhindern, dass die
Zivilgesellschaft in ihrer Mehrheit bei antisemitischen Vorkommnissen wiederholt verstummt oder
zustimmt. Um den zunehmenden Antisemitismus und Rassismus, sowie Sozialabbau und
Rechtsentwicklung zu stoppen, bedarf es der entschlossenen Zusammenarbeit und Gegenwehr
aller.
Für uns gilt getreu dem Schwur von Buchenwald:
Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung.
Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.